Stolpern gehört zum Erfolg 

Wie blöd findest du es, Fehler zu machen? Ja. 

Die meisten Menschen ärgern sich über Fehler oder Missgeschicke sehr. 
Dabei könnten Fehler für Menschen sowas wie der Kuhdung auf den Feldern sein. 
Ein Erfolgsmotor! 

Hirnforschung

Das menschliche Gehirn funktioniert so, dass wir mehr Ereignisse wahrnehmen, die schlecht funktionieren, als die, die reibungslos laufen. Warum? Weil wir daraus lernen können! 
Wenn ich weiß, wie etwas nicht geht, kann ich es beim nächsten Mal anders machen. 

Try and error. 
Eigentlich ein guter Plan. 

Irgendwann nach der Steinzeit hat unser Bewusstsein eine falsche Abbiegung genommen. 
Wir lernen heute zu selten aus Fehlern.
Ja, wir sehen weiterhin alles, was nicht gut ist. Aber es bleibt nur noch die Kritik. 
„So geht es ja nun mal gar nicht! – Merkste selbst, oder?“.

Wir gehen in eine harte Selbstkritik oder suchen Schuldige.
Es gibt eine saftige Strafe und damit hat sich die Sache erledigt. 

Das kostet oft sehr viel Energie und bringt uns keinen Schritt weiter. 

Wissenschaft ohne Fehlerkompetenz

Auch wissenschaftliche Forschung wird eher veröffentlicht, wenn das Ergebnis positiv ist.
Wenn eine Forschung nicht das gewünschte Ergebnis erzielt hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass darüber geschrieben wird, geringer. 

Dabei ist wissenschaftliche Forschung ja wohl das gelebte try and error. 
Doch wenn am Ende des Prozesses kein try and win rauskommt, dann bleibt er unter Verschluss. So hatten die Geldgeber nicht gewettet! Oder es hat einfach keinen Mehrwert für die Fachzeitschrift.
Weil es sich so anfühlt, als wäre man keinen einzigen Schritt weitergekommen. 
Millionen Euro in den Sand gesetzt. 

Viele andere Wissenschaftler werden zum gleichen Thema die gleichen Versuchsanordnungen ausprobieren und ebenfalls scheitern. 
Weil sie es nicht besser wussten. 

In meiner Welt ist das unterlassene Hilfeleistung

Fehlerkompetenz in Unternehmen

Wie wertvoll eine konstruktive Fehlerkultur in Unternehmen ist, merken viele erst, wenn sie diese einmal richtig angewendet haben.

Ich arbeite bei meinen Kund:innen mit dem Debriefing – einer Prozessanalyse aus der Luftfahrt. 

Piloten machen das nach jedem Flug, egal ob etwas Schlimmes passiert war oder nicht. 
Ganz glatt läuft es nie und daraus kann man lernen. 
Ein Grund, warum Luftfahrt heute so sicher ist! 

„Okay, dann probieren wir dieses Fehlermanagement eben mal aus“ sagen viele Unternehmen erstmal skeptisch. 

Folgendes Beispiel bekam ich von einem mittelständischen IT-Unternehmen für einen Fehleranalyse-Pilot-Prozess: Ein Abteilungsleiter war mit einer Mitarbeiterin in ein lautstarkes Streitgespräch geraten. So laut, dass es über den ganzen Flur zu hören war.  

Fehleranalyse mit Debriefing

Im Debriefing analysierten wir: Wie konnte es dazu kommen?
War wieder mal einer ungeduldig und die andere nicht schnell genug? 
Oder brauchte es etwa ein ganzes Dorf, damit die Eskalation überhaupt möglich wurde?

Im Streit ging es um ein Kunden-Projekt, das nicht pünktlich fertig geworden war. 
Die Mitarbeiterin war eine Testerin und damit eine der letzten Personen, die das Projekt in die Hände bekommen. 
Wenn es nicht pünktlich fertig war, dann kann also nur sie schuld sein. 
Das dachten alle bis zum Start des Debriefings. 

Dank des Ticket-Systems für den Kund:innen-Support war es möglich, alle Projekt-Beteiligten ausfindig zu machen und an einen Tisch zu bringen. 

Wir analysierten den Prozess ab dem Moment, wo das Ticket erstellt wurde. 
Das ist der Moment, wo ein:e Kund:in einen Fehler oder einen anderen Bedarf im Unternehmen meldet. 

Wir nahmen uns insgesamt zweimal drei Stunden Zeit für das Debriefing des Prozesses, der über ca. 8 Tage lief. 

Schnelle Erkenntnisse 

Bereits in der ersten halben Stunde wurde klar, dass schon die erste Person, die das Ticket am Wickel hatte, einen Anteil am Ergebnis hatte. 

Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass fast jede Person durch fehlende oder unzureichende Kommunikation, individuelle Prioritäten oder Unachtsamkeit einen Anteil am Ergebnis des Vorgangs hatte. 

Es brauchte also ein kleines Dorf, damit die Deadline nicht eingehalten wurde. 

8 Personen waren am Debriefing beteiligt. 
Die meisten waren zu Beginn skeptisch über diese Art der Fehleranalyse.
„Wieder so ein Meeting, wo wir unsere Zeit absitzen.“ 
„Sowas brauchten wir doch auch bisher nicht!“

Es spielten Versagensängste hinein oder auch das Gefühl, dass man selbst ja wohl wenig damit zu tun hätte, dass die Testerin nicht pünktlich geliefert hat bzw. der Chef dann so ungemütlich geworden ist. 

Im Laufe der Analyse wurden die Augen immer größer ob der Tragweite kleinster Unachtsamkeiten. 

Es ist wie ein Staffellauf. Wenn ein Teammitglied den Staffelstab nicht ordnungsgemäß übergibt, können Millisekunden verloren gehen. Wenn der Stab bei der Übergabe sogar runterfällt, noch mehr. All das summiert sich am Ende und macht den Unterschied zu den anderen Teams. 

Wenn wir nie drauf achten, wie genau wir den Stab eigentlich übergeben, dann sind wir eben immer die Dritt- oder Fünftplatzierten. Wenn wir diesen Prozess genau analysieren und optimieren, dann haben wir die Chance auf den Olympiasieg. 

Ist das nicht grenzgenial? Dafür müssen die Beteiligten noch nicht mal schneller rennen! 

Kaum zu glauben! 

Jede Person, die an diesen zwei Meetings zum Debriefing teilgenommen hat, hat etwas über die eigene Arbeitsweise gelernt. 

Der Fokus lag weit weg von der Schuld, sondern bei der Frage: 
Welche Auswirkungen hat mein Tun oder Unterlassen auf das Gesamtprojekt?  

Viele haben später gesagt, dass sie das so nie auf dem Schirm hatten.
Konkrete Ideen waren geboren, die sie direkt umsetzen konnten. 
Neue Absprache-Strukturen für solche Projekte wurden beschlossen.
Damit die Kommunikation transparenter wird und man Schieflagen schneller erkennt.

Es ist KLARHEIT entstanden! 
Und die Welt war wieder bunt.  
Einfach herrlich. 

Die Strategie des Debriefings wurde vom Unternehmen für künftige Fehleranalyse übernommen. Das Lernpotential war einfach zu bestechend!

Make the stumble part of your dance! 

Wenn du erkennst, wie es dazu kommen konnte, dann tanzt du beim nächsten Mal noch schöner. 

Schuld hat noch niemanden weiterentwickelt. 
Ganz im Gegenteil! 

Also stolpert, schaut zurück und räumt den Stein weg. 
Dann die Kopfhörer richten und weitertanzen. 

Nächste Woche schreibe ich darüber, wie wertvoll Scheitern in Change-Prozessen ist.
Darüber erscheint auch demnächst mein erstes Buch. 

Also, stay tuned. 

Alles Liebe, 

Cordia